Wie verändern die jüngsten Reformen des Staatsbürgerschaftsgesetzes das Leben von Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben? Gemeinsam mit Hanna Sammüller-Gradl, Leiterin des Kreisverwaltungsreferats, Jamila Schäfer, Bundestagsabgeordnete, Vertreter*innen der Community und interessierten Bürger*innen besprach ich bei einem Stadtgespräch im Grünen Salon, welche neuen Regelungen bald gelten und welche Konsequenzen dies für das Leben von eingewanderten Menschen wie auch Geflüchteten hat.
Mit den über 40 Teilnehmer*innen waren wir uns einig: Diese Reform ist ein bedeutender Schritt zur Stärkung unserer Demokratie, indem sie mehr Menschen, die dauerhaft hier leben, die Möglichkeit bietet, auf Augenhöhe am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Die wichtigsten Punkte der Neuerung:
- Verkürzte Fristen: Die Wartezeit für eine Antragstellung auf die deutsche Staatsbürgerschaft wurde von acht auf fünf Jahre verkürzt und kann bei besonderen Integrationsleistungen sogar auf drei Jahre reduziert werden.
- Mehrstaatigkeit: Das neue Gesetz erleichtert die Annahme einer mehrstaatlichen Zugehörigkeit, was die emotionale Verbundenheit zu Herkunftsländern anerkennt und fördert.
- Senkung der Sprachanforderungen: Die Anforderungen an die deutschen Sprachkenntnisse wurden gesenkt, um die Einbürgerung zugänglicher zu machen.
- Verbesserung für die Einbürgerung von Staatenlosen: Besondere Rücksichtnahme und vereinfachte Verfahren für staatenlose Personen verbessern deren Chancen auf Einbürgerung.
Herausforderungen, die bleiben, und weiterer Reformbedarf
Trotz der positiven Veränderungen durch das neue Gesetz bestehen weiterhin Herausforderungen und blinde Flecken. Insbesondere müssen wir die Einbürgerungsbedingungen für Menschen mit Behinderungen, Alleinerziehende, Rentner*innen mit geringer Rente und Personen, die unverschuldet arbeitslos geworden sind, weiter verbessern. Diese Gruppen stehen oft vor speziellen Hürden, die eine vollständige Teilhabe an unserer Gesellschaft erschweren.
Historischer Blick auf das Staatsbürgerschaftsrecht
Das Staatsbürgerschaftsrecht in Deutschland hat sich über die letzten 100 Jahre signifikant entwickelt, wobei das Recht des Blutes (jus sanguinis) und das Geburtsortprinzip (jus soli) sowie diverse Reformen zentrale Rollen spielten. Die Reformen des Jahres 2000 und die aktuelle Gesetzgebung reflektieren einen Wandel hin zu einer offeneren, integrativeren Auffassung von Staatsangehörigkeit.
Kritik der CSU verkennt die Lebensrealität
Die jüngste Kritik von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der die Reform als “großen Fehler” bezeichnet hat, kann ich nicht nachvollziehen. Er argumentiert, dass Einbürgerung erst nach einem vollständigen Integrationsprozess erfolgen sollte. Diese Perspektive übersieht jedoch, dass der Erhalt der Staatsbürgerschaft selbst ein zentraler Aspekt der Integration sein kann, da er die Bindung zum Aufnahmeland stärkt und die politische sowie soziale Teilhabe fördert.
Die von Herrmann kritisierte Möglichkeit der Mehrstaatigkeit verkennt die Lebensrealität vieler Einwanderer*innen: Sie haben eine starke Bindung nicht nur an ein Land.
Gerade die neue Anerkennung dieser Mehrstaatigkeit erleichtert Integration, indem sie die Identitätskonflikte der Einwanderer*innen mildert und eine staatsbürgerschaftliche Zugehörigkeit zu mehreren Ländern ermöglicht.
Die Kritik des Innenministers basiert auf einem überholten Verständnis von Staatsbürgerschaft und Integration, das den Anforderungen einer globalisierten, multikulturellen Gesellschaft nicht gerecht wird. Das neue Staatsbürgerschaftsgesetz ist keine Abkehr von Integrationszielen, sondern eine notwendige Anpassung an die demografische und kulturelle Realität Deutschlands im 21. Jahrhundert.
Die neuen Sprachanforderungen im Gesetz knüpfen an die tatsächlichen Fähigkeiten und Lebensumstände der Einwanderer*innen an. Damit nimmt das Gesetz auch Rücksicht auf Leistungen insbesondere älterer Migrant*innen oder solcher mit geringeren Bildungschancen, die sich trotzdem in die Gesellschaft eingebracht haben. Dies ermöglicht eine gerechtere und inklusivere Annäherung an Einbürgerung.
Ausreichende Deutschkenntnisse und die Notwendigkeit, sich zu Deutschland zu bekennen, bleiben auch im Rahmen des neuen Gesetzes relevant. Ein Bekenntnis zur demokratischen Grundordnung wird auch weiterhin gefordert.
Neue Chancen durch das Staatsbürgerschaftsgesetz gerade für „Gastarbeiter*innen“
Das neue Staatsbürgerschaftsgesetz öffnet nicht nur allgemein die Türen zu einer gerechteren Teilhabe, sondern bietet auch spezielle Chancen für Menschen, die seit Jahrzehnten durch das Anwerbeabkommen in Deutschland leben. Viele Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter sowie ihre Familien kamen in den 1960er und 1970er Jahren aus Ländern wie der Türkei, Italien, Griechenland und dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland. Diese Menschen haben über Jahrzehnte hinweg zum wirtschaftlichen Wachstum und kulturellen Reichtum unseres Landes beigetragen. Das neue Gesetz erkennt diesen Beitrag an und erleichtert ihnen und ihren Nachkommen den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft, indem es die Anforderungen an die Aufenthaltsdauer verkürzt und die Sprachanforderungen senkt.
Erleichterungen für Gruppen mit Schwierigkeiten bei ausländischen Konsulaten und Behörden
Besonders für Gruppen wie Kurd*innen, aus dem Kosovo, Iran und Afghanistan, die oft erhebliche Schwierigkeiten mit den Konsulaten ihrer Herkunftsländer hatten, bietet das neue Gesetz bedeutende Erleichterungen. Die Möglichkeit, eine doppelte Staatsbürgerschaft zu führen, ist eine entscheidende Änderung, die es Menschen erleichtert, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, ohne ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit aufgeben zu müssen. Diese Änderung ist besonders wichtig für Personen, die aus politischen oder administrativen Gründen Schwierigkeiten haben, die notwendigen Dokumente von ihren Heimatkonsulaten zu erhalten. Das neue Gesetz ermöglicht es ihnen, vollwertige Mitglieder der deutschen Gesellschaft zu werden, ohne dabei ihre Verbindungen zur Heimat zu verlieren oder sich in langwierigen bürokratischen Prozessen zu verstricken.
Ein zukunftsorientiertes Gesetz
Das überarbeitete Staatsbürgerschaftsgesetz steht im Einklang mit den Werten einer modernen, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft. Es erkennt die Vielfalt der Menschen an, die Deutschland zu ihrem Zuhause gemacht haben, und bietet praktische Lösungen für historische und bürokratische Herausforderungen, die ihre vollständige Teilhabe bisher behindert haben. Durch die Erleichterung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft für langjährige Bewohner*innen und die Anerkennung von Mehrstaatigkeit sendet Deutschland ein starkes Signal der Willkommenskultur und Integration aus.
Diese Reformen sind nicht nur ein Gewinn für die direkt betroffenen Menschen, sondern stärken auch die gesellschaftliche und wirtschaftliche Dynamik unseres Landes. Sie fördern die Bindung und das Engagement der Einwohner*innen für ihr soziales und politisches Umfeld und tragen damit langfristig zur Stärkung unserer Demokratie bei.
Inkrafttreten des Staatsangehörigkeitsrechts und Konsequenzen auch für München
Das neue Gesetz tritt drei Monate nach seiner Verkündigung in Kraft. Da das Gesetz am 26. März 2024 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde, tritt es nun am 26. Juni 2024 in Kraft und wird voraussichtlich die Einbürgerungsrate erhöhen. Es stellt eine progressive Entwicklung dar, die darauf abzielt, endlich mehr Menschen die Chance zu gesellschaftlicher und politischer Teilhabe zu geben.
Ausblick: flächendeckende Umsetzung
Als Abgeordnete und Sprecherin für Migration begleite ich die Umsetzung des Gesetzes in Bayern gerne kritisch und nehme auf, welche Anpassungen es bei dem Gesetz zukünftig braucht oder welche Hürden bei der Umsetzung abgeschafft werden müssen. Schließlich darf diese Reform nicht nur auf dem Papier bestehen, sondern muss auch in der Praxis zu echter Gleichheit und Integration führen.
Gern nehme ich Ihre Erfahrung mit dem neuen Gesetz mit in den Landtag und freue mich über einen Bericht unter info@guelseren.de!